Lebenden zum Geburtstag alles Gute zu wünschen, ist allgemein üblich, als Erkunder der Seele wird es Ihnen wohl aber nicht besonders seltsam vorkommen, dass man Toten Briefe schreibt?
Im Inventar des Jüdischen Museums Wien lassen sich zu Ihrer Person 29 Einträge finden. Das ist wenig, wenn man bedenkt, dass Sie wirklich berühmt sind. Nun haben Sie gleich zwei eigene Museen, in der Wiener Berggasse und in Maresfield Gardens in London. Ihr Wiener Zuhause hatte die Hausnummer 19, in London ist es die 20, womöglich hat das keine Bedeutung. Das berühmte Sofa steht in London und auch die Bauernmöbel aus Hochrotherd, die Sie und Ihre Tochter Anna auf Ihrer Flucht aus Wien jedenfalls mitzunehmen wünschten. In einem im Londoner Museum verwahrten Fotoalbum finden sich unter einem Foto des Wochenendhauses und einem zweiten mit einem geöffneten Schrank neben der Jahreszahl 1931 folgende gereimte Bildunterschriften:
„Doch mehr als dieses ist uns wert das Haus der Zukunft Hochrotherd.“
„Und zum Gedenk entnehmen wir aus diesem Schrank Glas und Geschirr.“
Herr Doktor, beim Schreiben von Briefen kann man Menschen anreden, die nie zu einem sprechen würden. Sie werden nicht antworten, so dass der Austausch etwas einseitig anmutet, aber auf Grund der Umstände anders gar nicht möglich ist. Beim Schreiben kann man Menschen näherkommen, auch wenn diese Nähe nicht auf Gegenseitigkeit beruht.