18. Dezember 2024

Goodbye and Hello! Was geht und was kommt: Zum Jahresabschluss

von Barbara Staudinger
© Ouriel Morgensztern
Jahreswechsel sind ein guter Zeitpunkt, um zurückzublicken – das Erfolgreiche zu feiern und aus allem anderen zu lernen.

2024 war für das Jüdische Museum Wien ein Jahr des sozialen Engagements. Im Rahmen der Ausstellung „Who Cares? Jüdische Antworten auf Leid und Not“ hat sich das Museumsteam nicht nur an vielen sozialen Projekten beteiligt, sondern auch selbst Zeichen gesetzt. Ob durch verschiedene Spendenaktionen, einen Ausflug in den Prater mit Bewohner:innen des Maimonides-Heims oder durch einen Tag im Museum mit dem Samariterbund: In diesem Jahr haben wir gelernt, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht nur bedeutet, dass man sich täglich dafür einsetzen muss, sondern auch, dass sich dieser Einsatz auszahlt.

Menschen zusammenzubringen und den demokratischen Diskurs zu stärken, war auch das Anliegen der Ausstellung „Frieden“, die bereits im November 2023 am Standort Judenplatz eröffnet wurde. In Kriegszeiten vergisst man oft, dass Frieden viel mehr ist als die Abwesenheit von Krieg und dass man sich Frieden erarbeiten muss. Ein Höhepunkt der Ausstellung war eine in Kooperation mit den Wiener Vorlesungen veranstaltete Podiumsdiskussion, zu der wir Vertreterinnen der israelisch-palästinensischen Friedensinitiativen „Women Wage Peace“ und „Women of the Sun“ einladen durften.

Mit der Kehrseite, dem Auseinanderbrechen der Gesellschaft durch Beraubung und Verfolgung, beschäftigten sich zwei Ausstellungen: „Raub“ spürte in einer Kooperationsausstellung mit dem Wien Museum am Judenplatz der systematischen Beraubung der Wiener jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten sowie der Einverleibung des Raubguts in die Städtischen Sammlungen nach. „Wiener Nostalgie. Vernetzte Erinnerungen an Emil Singer“ zeigte in der Dorotheergasse die verzweifelten und letztlich gescheiterten Versuche eines für seine Wien-Ansichten bekannten Wiener Radierers, aus dem nationalsozialistischen Österreich zu entkommen. Zurück blieben nur Erinnerungsstücke, die diese sensible Ausstellung erstmals wieder zusammenbrachte.

Durch viele altbekannte und neu hinzugekommene Formate haben wir das Museum weiter für die Stadtgesellschaft geöffnet: Im Project Space im Atrium des Museums kann man nun Interventionen oder kleine Ausstellungen zu aktuellen Themen sehen. 2024 waren dies ein mahnender Kommentar zur Wahl mit der Künstlerin Deborah Sengl („Die letzten Tage der Demokratie“) sowie eine Installation mit Zeitzeugeninterviews von Überlebenden der Schoa. Unser Schaufenster in der Dorotheergasse, das als „Fenster zur Welt“ das Museum für alle im Vorbeigehen zugänglich macht, wurde vielfältig bespielt und wird auch in Zukunft fortgesetzt. Und ab Ende des Jahres konnte schließlich unsere Online-Sammlung gelauncht werden, die in einem ersten Schritt über 3000 Objekte unserer Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich macht und zum Teil bisher nie gesehene Objekte und Fotos zeigt.

Noch im Jahr 2025 sind zwei Ausstellungen zu sehen: „Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis“ zeigt in der Dorotheergasse einen neuen Ansatz in der Vermittlung des Holocausts: Aus der Perspektive von heute wird in vielen kleinen Geschichten von den unterschiedlichen Versuchen der Enkelgeneration erzählt, die Lücken ihrer Familiengeschichte zu füllen, das Schweigen zu brechen und mit dem familiär ererbten Trauma umzugehen. Begleitend zur Ausstellung veranstalten wir Generation Talks mit verschiedenen Gästen und Themen und führen Interviews, die wir über unseren Museumsblog veröffentlichen. Am Judenplatz geht die Ausstellung „Angst“ auf Spurensuche nach jüdischen Kontexten und Geschichten eines Gefühls, das jede und jeder kennt. Sich der Angst zu stellen und sich mit ihr zu beschäftigen, birgt dabei auch immer die Chance, die eigenen Ängste zu überwinden.

2024 war für das Jüdische Museum Wien kein leichtes Jahr: Seit dem 7. Oktober 2023 und dem darauf folgenden Krieg in Gaza mussten wir einen massiven Einbruch unserer Besucher:innen erfahren, was bis jetzt angehalten hat. Der Krieg hat auch hierzulande die Polarisierung der Gesellschaft verstärkt, Menschen aufgehetzt und verunsichert, und das Adjektiv „jüdisch“, das unser Museum in unseren Augen in so vieler Hinsicht auszeichnet, in den Augen vieler Menschen zu einem mit negativen Assoziationen behafteten Begriff gemacht.

Trotzdem sehen wir dem neuen Jahr 2025 mit viel Vorfreude entgegen – schließlich ist es ein ganz besonderes Jahr: Bereits zum Jahresende im November konnten wir mit einer Gala bei Christie’s New York den Auftakt zum 130. Jubiläum des Jüdischen Museums Wien, das mit seiner Eröffnung 1895 das erste jüdische Museum der Welt ist, feiern. Anlässlich dieses Jubiläums haben wir viel vor: Spezielle Angebote und ein Tag der offenen Tür zeigen unser Engagement, unser Museum noch zugänglicher für Besucher:innen zu machen. Mit einem Podcast und anderen Medienformaten wollen wir die Themen des Museums noch weiter hinaustragen. Vor allem aber ist es unser Ausstellungsprogramm, das in diesem Jahr, in dem auch der 80. Jahrestag der Befreiung gefeiert wird, ein ganz besonderes:

Ab 2. April zeigen wir in der Dorotheergasse unsere Jubiläumsausstellung „G*tt. Die großen Fragen zwischen Himmel und Erde“. In der Ausstellung beschäftigen wir uns mit den essentiellen Fragen des Menschen und seiner Beziehung zum Phänomen Gott. Einige der weltweit schönsten Judaica-Objekte sowie ausgesuchte Werke zeitgenössischer Kunst zeigen verschiedene Ebenen der Beziehungsgeschichte: von einer religiösen, von Tradition geprägten Verbindung bis zu einer intellektuellen oder auch wissenschaftlichen Auseinandersetzung.

Ab 8. Mai erinnern wir mit der Ausstellung „Sag mir, wo die Blumen sind … 80 Jahre nach dem Krieg – Fotografien von Roger Cremers“ an das Ende des Zweiten Weltkriegs. Der niederländische Fotograf hat mehrere europäische Länder bereist und dort Gedenkorte und Gedenkveranstaltungen, aber auch Verborgenes und Verschwiegenes in seiner ganz eigenen Bildsprache festgehalten. Er stellt damit nicht nur die Frage, woran wir uns erinnern wollen und was wir lieber vergessen, sondern auch, wie wir uns erinnern.

Bereits ab 13. Mai ist im Project Space die Intervention „Kein Platz für Auseinandersetzung?“ zu sehen, die sich mit dem neuen Antisemitismus nach dem 7. Oktober 2023 und seinen gesellschaftlichen Auswirkungen aus unterschiedlichen Perspektiven auseinandersetzt und vor allem eines bewirken will: Platz für einen respektvollen Diskurs zu schaffen, der andere Meinungen zulässt und nicht im Vorhinein verdammt.

Und last but certainly not least zeigen wir ab 22. Oktober die große Ausstellung „Schwarze Juden, Weiße Juden? Über Hautfarben und Vorurteile“, in der wir uns mit Selbst- und Fremdwahrnehmungen von „jüdischer Hautfarbe“ beschäftigen und erklären, was das mit Antisemitismus und Rassismus zu tun hat. Stereotype und Verallgemeinerungen werden dabei ebenso hinterfragt wie alle rassistischen Weltbilder, die Hautfarbe zum Kriterium der Bewertung von Menschen machen.
Wir haben viel vor im nächsten Jahr – feiern, diskutieren und lernen Sie mit uns im Jüdischen Museum, dem ersten jüdischen Museum weltweit!