17. April 2016
Unter der Lupe

Gisela Werbezirk, Superstar

von Werner Hanak-Lettner
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Als ich am Beginn der 1990er-Jahre meine Diplomarbeit über die Rolandbühne schrieb, bin ich Gisela Werbezirk zum ersten Mal begegnet. Die Rolandbühne machte in den 1920er-Jahren gemeinsam mit den Jüdischen Künstlerspielen, der Jüdischen Bühne und dem altehrwürdigen Carltheater die Praterstraße zu einem Wiener Broadway.
 
„Jargonwunder an Leib, Seele und Stimme“
Wer aber war Gisela Werbezirk? Ein „unwahrscheinlicher Fauxpas der Schöpfung“, ein „Jargonwunder an Leib, Seele und Stimme“, meinte der große Feuilletonist Anton Kuh gerade heraus. Die Werbezirk kam 1875 in Preßburg zur Welt und wurde in Wien von Theaterdirektor Josef Jarno entdeckt. In der Leopoldstadt feierte sie ihre größten Erfolge. Hier spielte sie meist starke, alleinerziehende jüdische Mütter in Stücken, deren Hauptkonflikte sich zwischen der moralisch bedenklichen Großstadt und der zurückgebliebenen umliegenden Provinz, namentlich Mähren, Ungarn oder dem Burgenland entwickelten.
 
Die von ihr bevorzugte Komik lässt sich dabei durch einen Textfund im Archiv der österreichischen Theaterzensur, die bis 1926 existierte, gut nachvollziehen. Wenn auf die Feststellung „ich hab’ an Mazzes-Sopran“ die Vision „ich werd’ ein Opern-Diwan“ folgt, können wir erahnen, dass sich ihr Witz sowohl aus der Sprache, die Jüdinnen und Juden in Wien damals sprachen, als auch aus ihrem stolzen Umgang mit ihrem eigenen Körper nährte. In letzterer Hinsicht legte Gisela Werbezirk ihre Rollen durchaus offensiv an: Als eine schlanke Widersacherin bemerkte: „Meine Kleider dürften ihnen nicht passen“, konterte die Werbezirk: „Ja, leider, Sie haben ja a Figur wie a Gas-Kandelaber“.
 
Die Leopoldstadt: „Bezirk der Werbezirk“
Dass Anton Kuh die Leopoldstadt sogar als „Bezirk der Werbezirk“ bezeichnete, lag nicht nur an ihren häufigen Auftritten in der Praterstraße, sondern auch daran, dass die Stücke, die sie mit ihren jüdischen Mutterrollen dominierte, größtenteils hier spielten. So auch die legendäre Frau Breier aus Gaya, inszeniert von Karl Farkas, uraufgeführt im Jahre 1923: Darin spielt sie eine Gänseverkäuferin aus der mährischen Provinzstadt Gaya, deren Sohn allen Versuchungen der Großstadt Wien erliegt, folglich in Schwierigkeiten gerät und dem nur noch seine Mutter aus dem Schlamassel helfen kann.
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© Theatermuseum Wien
 
Das Stück spielt in Gaya und in Wien. Die Szenen in Gaya – und dies meistert dieses Bühnenstück auf einzigartige Weise – sieht das Publikum in einem Stummfilm. In einer dieser Szenen – der Sohn der Sali Breier ist bereits aufs äußerste bedrängt und nur seine Mutter kann ihn noch aus dieser Situation retten – kommt Gisela Werbezirk am Nordbahnhof an und geht die Praterstraße bis zur Rolandbühne auf Nummer 25 hinunter. Plötzlich lautes Geschrei, die Leinwand geht hoch und auf der Bühne streitet Gisela Werbezirk alias Sali Breier mit zwei Billeteuren: „Mir wollen Sie erzählen, wo ich hingehör? Ich brauch ka Karten! Mein Gesicht is mei Karten.“ So, wie sie dieses erste Duell gewinnt, siegt sie auch in allen weiteren.
 
Vom Superstar zur Statistin: Gisela Werbezirk in Hollywood
1939 gelingt Werbezirk die Flucht in die USA. Hollywood, das sie einst verächtlich als „Purkersdorf mit Palmen“ bezeichnet hatte, rettete ihr nun das Leben. Hier musste sie nun jene Rollen annehmen, die ihr als nicht-englischsprachige ältere Schauspielerin angeboten wurden; ihren Sprachwitz konnte sie nicht mehr ausspielen. 1951 sieht man sie zum letzten Mal in The Gorilla’s bride, 1956 stirbt sie 81-jährig.
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© Theatermuseum Wien
 
Gisela Werbezirk war ein Wiener Superstar, den diese Stadt vergessen hat. Ich habe eine große Freude daran, dass sie in der Ausstellung Wege ins Vergnügen. Unterhaltung zwischen Prater und Stadt eine Hauptrolle spielt. Die Ausstellung ist noch bis zum 18. September im Extrazimmer des Jüdischen Museums zu sehen.