29. Juli 2024
Schaufenster
There be Dragons
von Lisl Ponger & Daniela Pscheiden
Fotoarbeit: Lisl Ponger
Text: Daniela Pscheiden
Auf mittelalterlichen Weltkarten beherrschten Drachen, Monster und Seeungeheuer die damals unerforschten Gebiete. Mit den europäischen „Entdeckungsreisen“ änderte sich das jedoch bald. Stellvertretend für Europa blicken in dieser Installation der Seefahrer Christoph Kolumbus (ca. 1451-1506) und ein Frontex-Beamter aufs Meer. Der eine machte sich auf ins Ungewisse, um es der bekannten Welt einzuverleiben, während der andere ein Bollwerk vor den ungewollten Flüchtlingen aus der „fremden“ Welt bilden soll.
Vornehmlich wirtschaftliche Interessen bestimmten die Reise Christoph Kolumbus`. Eigentlich auf der Suche nach einem direkten Seeweg nach Indien, der die langwierige und gefährliche Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung vermeiden sollte, „entdeckte“ er 1492 die vorgelagerten Inseln des amerikanischen Kontinents. Obwohl Kolumbus Zeit seines Lebens glaubte, die Westküste Indiens bereist zu haben, führte seine „Entdeckung“ zur dauerhaften Kolonisierung Amerikas durch die Europäer. Neben den eingeschleppten Krankheiten, die eine demografische Katastrophe auslösten, verübten die, im Gefolge Kolumbus eingereisten Spanier, Gräueltaten an den Indigenen. Wirtschaftliche Hegemonie, die Suche nach Gold aber auch die katholische Missionierung standen im Mittelpunkt der spanischen Interessen. Jahrhunderte des europäischen Einflusses, um nicht zu sagen der Übernahme des amerikanischen Kontinents, sollten folgen.
Frontex wurde 2004 als Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (französisch: frontières extérieures - Außengrenzen) gegründet. Sie ist im Auftrag der Europäischen Union für den Schutz sämtlicher Außengrenzen des Schengen-Raums zuständig. 2015 erhielt sie in Reaktion auf die „Flüchtlingskrise“ erweiterte Kompetenzen. Neben der Einrichtung einer Küstenwache wurde eine 1500 Personen starke, ständige Reserve als erster uniformierter Strafverfolgungsdienst der EU eingerichtet. Die selbständige Beschaffung von Fahrzeugen sowie Material war nun ebenfalls möglich. Schon damals wurden Stimmen laut, die die angebliche „Flüchtlingskrise“ eher als „Krise des Migrationsmanagements“ bezeichneten und die Gefährdung von EU-Menschrechtsstandards befürchteten. Eine weitere Kompetenzerweiterung erfolgte 2019 mit der Aufstockung der ständigen Reserve auf 10.000 Personen bis 2027, und der gleichzeitigen Erhöhung des Budgets von 460 auf 900 Millionen Euro pro Jahr.
2020 berichteten Journalist:innen von schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, wie illegalen Pushbacks und willkürlicher Aussetzung auf hoher See. Unter illegale Pushbacks versteht man das Zurückdrängen von Geflüchteten, die bereits europäisches Hoheitsgebiet erreicht haben, aufs offene Meer. Da Frontex-Führungskräfte diese Pushbacks griechischer Beamt:innen vertuscht hatten, trat 2022 der Frontex-Direktor Fabrice Leggeri zurück. Im Mai 2024 erstatteten zwei NGOs in Paris Strafanzeige gegen ihn. Leggeri trat bei den Europawahlen im Juni 2024 für Marine Le Pens rechtspopulistische Partei Rassemblement National an. Er vertrat dabei die Ansicht, dass die EU-Kommission Frontex in eine Art Empfangskomitee für Geflüchtete verwandeln wolle.
Ein Rechtsgutachten des European Center for Constitutional and Human Rights, hält fest, dass die Flüchtlings- und Menschenrechte auch auf Hoher See, also jenseits der 12-Meilen-Zone, gültig sind. Geflüchtete, die mitten auf dem Meer aufgegriffen werden, dürfen somit einen Asylantrag stellen. Im Gegensatz dazu arbeitet Frontex mit den Küstenwachen nordafrikanischer Länder zusammen, die Geflüchtete in Lager in entlegenen Wüstengebieten verschleppen.
Zahlreiche Berichte zeigen zudem, dass die rechtlichen Vorschriften oft nicht eingehalten werden. Boote, schon knapp vor der europäischen Küste, werden zur Umkehr gezwungen, obwohl die Geflüchteten unter eklatantem Wasser- und Nahrungsmangel leiden. Vielfach wird auch von Schüssen auf Boote berichtet, um diese zur Umkehr zu zwingen. Pushbacks geschehen auch in Richtung von Ländern, in denen Geflüchteten Folter oder die Todesstrafe drohen.
Somit ist auch heute noch gültig: Während „wir“ uns vor den „Fremden“ schützen dürfen, soll uns ihre Heimat offenstehen für Urlaub, wirtschaftliche Interessen oder politische Interventionen – und unseren Wohlstand ohne Rücksicht auf Moral und Menschenrechte sichern. Die Installation will daher zum Nachdenken anregen: Wer sind die Ungeheuer von heute?
Lisl Ponger
There be Dragons, 2019
Digitaldruck, Leuchtkasten
Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin