25. Oktober 2024
Schaufenster

150. Geburtstag von Arnold Schönberg

von Jewish Museum Vienna, Arnold Schönberg Center, Ruth Anderwald + Leonhard Grond
© Jüdisches Museum Wien

Haben Sie schon einmal Zwölftonmusik gehört? Der Erfinder dieser revolutionären Kompositionsmethode, Arnold Schönberg ist sowohl in jedem Konzerthaus der Welt, als auch auf Spotify zu finden Regelmäßig erscheinen neue Aufnahmen von Schönberg-Konzerten mit international renommierten Dirigent:innen und Orchestern. Auf Spotify hat Schönberg derzeit 450.672 monatliche Hörer:innen, Folgende fünf Stücke sind aktuell am beliebtesten:

  1. Notturno for Strings and Harp [1896]; Interpreten: Daniel Hope, Zürcher Kammerorchester, Jane Berthe – 31.173.010 Abrufe
  2. Verklärte Nacht, Op. 4: I. Grave [1909]; Interpreten: Daniel Barenboim, Chicago Symphony Orchestra – 1.489.946 Abrufe
  3. Verklärte Nacht, Op. 4: IV. Adagio [1899]; Interpreten: Daniel Barenboim, Chicago Symphony Orchestra – 370.427 Abrufe
  4. 4 Pieces from 6 kleine Klavierstücke [1911]; Interpreten: Hans Abrahamsen, BIT20 Ensemble, Ilan Volkov – 360.843 Abrufe
  5. Verklärte Nacht, Op. 4 (Version for String Orchestra): V. Adagio (Bar 370) [1899]; Interpret: Danish National Orchestra – 9.402 Abrufe

Im Gesamtranking der Komponist:innen aus der klassischen Musik liegt Schönberg freilich weit hinter Mozart, Beethoven und Mahler. Grund dafür ist sein Ruf als experimenteller Künstler und die für ein traditionelles Harmonieverständnis als atonal empfundenen Kompositionen.

Seine Spotify-Biografie stellt ihn als Avantgardist und Rebell der Wiener Musikszene vor: „Arnold Schönberg remains one of the most controversial figures in the history of music. From the final years of the 19th century to the period following World War II, Schönberg produced music of great stylistic diversity, inspiring fanatical devotion from students, admiration from peers like Mahler, Strauss, and Busoni, riotous anger from conservative Viennese audiences, and unmitigated hatred from his many detractors.” Tatsächlich fasziniert gerade der junge Schönberg durch den Facettenreichtum seines Wirkens – er war Komponist, Theoretiker, Schriftsteller, Lehrer, Mahler und Erfinder. Er löste Begeisterung bei seinen Bewunderer:innen aus, stieß aber gleichzeitig auf ebenso starke Ablehnung bei seinen Kritikern und provozierte durch seine Musik hitzige Kontroversen innerhalb des Publikums.

„Ich schreibe was ich in meinem Herzen fühle – und was schließlich auf das Paper findet, hat zunächst jede Faser meines Körpers durchlaufen“. – Arnold Schönberg, 1937   

 

Der Mann hinter der Musik

Vor 150 Jahren, am 13. September 1874, wurde Arnold Schönberg in Wien als zweitältester von vier Kindern von Samuel und Pauline Schönberg geboren. Die jüdische Familie lebte in der heutigen Oberen Donaustraße 5, nahe dem Augarten. Ohne intensive formale Ausbildung brachte sich Schönberg bereits als achtjähriges Kind selbst das Geigenspiel bei und begann Musik zu komponieren. Er bewegte sich in den heimischen künstlerischen, literarischen, und musikalischen Kreisen, wo er unter anderem mit Karl Kraus, Alexander von Zemlinsky, Egon Schiele und Oskar Kokoschka in Kontakt kam. Diese Freundschaften prägten Schönbergs Karriere und beeinflussten die Entwicklung seines Musikschaffens. Aufenthalte in europäischen Metropolen wie Berlin, Barcelona, Paris und Amsterdam dienten ihm als Inspiration.
 
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© Jüdisches Museum Wien
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© Jüdisches Museum Wien
Ansicht der Lutherischen Stadtkirche in der Dorotheergasse, 30 Meter entfernt vom Jüdischen Museum im Palais Eskeles


Wie viele in seiner Familie und seinem Freundeskreis trat Arnold Schönberg am 25. März 1898 zum evangelischen Glauben über.1 Seine Taufe fand in der Lutherischen Stadtkirche in der Dorotheergasse 18 statt, nur wenige Häuser vom heutigen Standort des Jüdischen Museums Wien entfernt. Um die Jahrhundertwende war es unter jüdischen Wiener:innen ein verbreiteter Trend, sich dem Protestantismus statt dem in Österreich dominierenden Katholizismus zuzuwenden. Die Beweggründe für die Konversion waren vielfältig und variierten von Person zu Person: sozialer und wirtschaftlicher Aufstieg im bürgerlichen Milieu, liberale oder antiklerikale Haltungen, verbesserte Berufsaussichten, die Vermeidung antisemitischer Anfeindungen, religiöse Überzeugungen oder der Wunsch nach vollständiger Assimilation bis hin zur ideologischen Übereinstimmung mit der Los-von-Rom-Bewegung, die von radikalen deutschnationalen Strömungen geprägt war.2

Doch wie so oft half die Konversion wenig: Schönberg war immer wieder mit antisemitischen Vorurteilen, Anfeindungen gegen seine Familie und vor allem auch seine Musik konfrontiert. Diese gipfelten 1921 bei einem Vorfall in Mattsee. Zusammen mit seiner Familie war er für eine mehrmonatige Sommerfrische in der Salzburger Marktgemeinde angereist und verbrachte anfangs einen störungsfreien Urlaub, in dem er Freund:innen empfing und sich seinen Kompositionen widmete. Schönberg wusste allerdings nicht, dass Mattsee einer der Orte in Österreich war, die bereits zu Beginn der 1920er-Jahre mit dem Etikett einer „judenfreien“ Sommerfrische warben. Schließlich verlangten ein paar Antisemiten aus der Lokalbevölkerung von ihm den Nachweis, dass er kein Jude sei. Obgleich Schönberg konvertiert war, konnte oder wollte er einen solchen Nachweis nicht erbringen. Der Widerstand gegen ihn wuchs derart, dass Schönberg sich schließlich gezwungen sah, sein Sommerdomizil zu verlassen. Der Vorfall prägte Arnold Schönberg nachhaltig und war auch Auslöser, sich vermehrt mit der eigenen jüdischen Herkunft und mit jüdischen Themen aus der Bibel auseinanderzusetzen, was sich sowohl in seiner schriftstellerischen Tätigkeit als auch seinem musikalischen Schaffen zeigte. Dies sowie die Beschäftigung mit dem Zionismus mündeten am 24. Juli 1933 in Paris im Beisein des Malers Marc Chagall in seiner Rückkehr zum jüdischen Glauben.3 Das Neue Wiener Tagblatt interpretierte seine Rekonversion als politische Stellungnahme zur Judenverfolgung in Deutschland. Schönberg reagierte darauf mit den folgenden Worten: „Ein Religionswechsel darf nur religiösen und nationalen Anlass haben. Es wäre schmählich, mit diesem Schritt eine Nebenabsicht zu verbinden. Man würde mir es nicht zumuten, wenn man mehr den Charakter an mir schätzte, als den bekannten Komponisten.“4 Damit versuchte er, das Ereignis zu entpolitisieren und betonte, dass seine Entscheidung aus einer persönlichen Auseinandersetzung resultierte. Dennoch äußerte er sich immer wieder zur politischen Lage von Jüdinnen und Juden und war ein starker Befürworter der Gründung eines jüdischen Staates.

Als er bereits sechs Jahre lang eine Professur für Komposition an der Akademie der Künste in Berlin innegehabt hatte, sah er sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 mit einer ungleich größeren Dimension des Judenhasses konfrontiert. Bereits im September wurde ihm aus „rassischen Gründen“ seine Professur entzogen. Arnold Schönberg erkannte die Ausweglosigkeit der Situation und emigrierte mit seiner zweiten Frau Gertrud und Tochter Nuria in die Vereinigten Staaten, wo er in New York, Boston und Los Angeles unterrichtete. 1941 wurde er US-Staatsbürger und verstarb dort am 13. Juli 1951.

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© Jüdisches Museum Wien
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© Jewish Museum Vienna
Ansicht aus der Dauerausstellung im Jüdischen Museum Wien; Selbstporträt von Arnold Schönberg, 1910, Leihgabe Arnold Schönberg Center


Happy Birthday, Arnold Schönberg! Das 150. Jubiläumsjahr im Arnold Schönberg Center

2024 feiert die internationale Kulturwelt den 150. Geburtstag von Arnold Schönberg und würdigt ihn mit zahlreichen Aufführungen, Publikationen, CD-Produktionen, Ausstellungen sowie multimedialen Projekten als einen der einflussreichsten Komponisten und Musiktheoretiker des 20. Jahrhunderts. Auf vier Kontinenten finden im Rahmen des Schönberg-Jubiläums zahlreiche Veranstaltungen statt – von Wien über Europa bis nach Seoul, Sydney und New York kann man seine Musik erleben. Das Wiener Arnold Schönberg Center, das den Nachlass des Komponisten verwahrt und öffentlich zugänglich macht, ehrt ihn mit der Jubiläumsausstellung »Mit Schönberg Liebe hören« sowie mit zahlreichen weiteren Konzertveranstaltungen.

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Filmstills aus Arnolds Wunsch


Ruth Anderwald + Leonhard Grond über ihre künstlerische Arbeit „Arnolds Wunsch“

„Eines Tages werden meine Melodien auf der Straße gepfiffen werden“, wird Arnold Schönberg bei Alban Berg zitiert. Dieser Wunsch begeisterte uns, nicht nur, da das Versunken-vor-sich-hin-Pfeifen kaum mehr auf den Straßen zu hören ist, sondern auch die Vorstellung, dass Schönbergs Musik einer breiten Bevölkerung so verinnerlicht ist, dass sie tatsächlich gepfiffen wird.“ Mit diesen Worten beschreiben Ruth Anderwald + Leonhard Grond die Initialzündung für ihr Projekt „Arnolds Wunsch“. Es ist eine von zahlreichen Möglichkeiten, sich mit den Arbeiten von Künstler:innen und deren Einfluss auf die eigene Arbeit auseinanderzusetzen „ihnen posthum einen Wunsch zu erfüllen“. Doch wie konnte diese Wunscherfüllung aussehen? Über welches Geschenk würde sich Arnold Schönberg heute freuen? Anderwald + Grond beschlossen, den Wunsch nach dem Pfeifen der Schönberg-Melodien an jenen Orten, in denen Schönberg gelebt hatte oder die für ihn wichtig waren wahr werden zu lassen.
 
Gerade die Rezeption in der Populärmusik blieb Arnold Schönberg und seinen atonalen Melodien verwehrt. In einem Brief an den Grazer Komponisten und Dirigenten Hans Rosbaud 1947 hatte er diese Hoffnung bescheiden formuliert: „Ich aber wünsche nichts sehnlicher (wenn überhaupt) als dass man mich für eine bessere Art von Tschaikowski hält – um gotteswillen: ein bisschen besser, aber das ist auch alles.“ Lakonisch fügte er an: „Höchstens noch, dass man meine Melodien kennt und nachpfeift.“
 
Und tatsächlich gelingt es Ruth Anderwald + Leonhard Grond, „Arnolds Wunsch“ in greifbare Nähe zu rücken. Schon während der Installation ihres Kunstwerks im JMW-Schaufenster in der Dorotheergasse begannen Passant:innen zu pfeifen. Ob es sich dabei um Melodien des Meisters gehandelt hat, konnten wir nicht feststellen.

 


1 Vgl. Therese Muxenender: Arnold Schönberg und Jung-Wien (Wien 2018), 93.
2 Vgl. Astrid Schweighofer: Religiöse Sucher in der Moderne. Konversionen vom Judentum zum Protestantismus in Wien um 1900, 49- 63.
3 Union Libérale Israélite, Paris, 24.7.1933, Datenbank des Arnold Schönberg Centers, https://xn--schnberg150-tfb.at/index.php?option=com_sppagebuilder&view=page&id=3 (1.10.2024).
4 Arnold Schönberg an das Neue Wiener Tagblatt, 12.8.1933, Datenbank des Arnold Schönberg Centers, https://repo.schoenberg.at/urn:nbn:at:at-asc-T021935 (1.10.2024).