Recherche in der Sammlung des Jüdischen Museums Wien gleicht einem Spaziergang – durch die Wiener und österreichische jüdische Geschichte, von Wien in die Welt und in den 16. Wiener Gemeindebezirk. Anfang der 1870er Jahre gründete die zu dieser Zeit selbstständige „Israelitische Cultusgemeinde Hernals, Ottakring und Neulerchenfeld" unter der Obmannschaft von Ignaz Kuffner einen Tempelbauverein. Ignaz Kuffner hatte diesem Verein 1882 eine von zwei Wohnhäusern umgrenzte Liegenschaft in der Hubergasse 8 zur Verfügung gestellt. Im Jahr 1885 konnte der für Renaissancebauten bekannte Architekt Ludwig Tischler für die Planung einer Synagoge gewonnen werden.

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Foto © JMW
 
Dieser Tora-Mantel wurde vom Ehepaar Kuffner im Jahr 1860/61 für diese Gemeinde gestiftet, die hebräische Widmungsinschrift nennt den „berühmten und verehrten Vorsteher Rabbi Jizchak, der Sohn des Vorstehers Rabbiner Kopl“, zu dessen Erinnerung der Mantel gefertigt wurde. 1935 gelangte das Textil als Spende des Vorstands der Israelitischen Kultusgemeinde in die Sammlung des Alten Jüdischen Museums Wien. Nach der Schließung des Museums im Mai 1938 wurde der Mantel mit der Bezeichnung „Thora-Mantel Umhang Nr. 5239 A4“ im Völkerkundemuseum verwahrt. Die Widmungsinschrift weist einen interessanten Schreibfehler auf: Der Buchstabe „he“ wurde immer als „chet“ gestickt.
 
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Aus Ludwig Tischlers Hand stammen auch die Pläne für das 1873 eröffnete „Hotel Metropole“ – ein Ringstraßenhotel, das als „jüdisches“ Sacher in aller Munde war. Die Inneneinrichtung und das Dekor waren vom berühmten Sacher inspiriert, durch die Nähe zum zweitem Wiener Gemeindebezirk fanden zahlreiche jüdische Hochzeiten und Bar Mitzwa Feierlichkeiten hier statt. Aufgrund seiner Zusammenarbeit mit zwei großen Baugesellschaften zählt Ludwig Tischler mit 28 Gebäuden in der Inneren Stadt, 79 in den Stadterweiterungsgebieten und 142 in den damaligen Vorstädten zu den meist beschäftigten Architekten seiner Zeit.
 
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Auch aus der Synagoge in der Hubergasse stammt dieser Tora-Mantel. Der cremefarbene Stoff gibt Auskunft darüber, dass er für die Verwendung während der hohen jüdischen Feiertage im Herbst – von Neujahr bis Simchat Tora – gedacht war. Die hebräische Widmungsinschrift lautet: „Dies ist ein Geschenk zur Ehre Gottes und seiner Tora von Schlomo Weizmann und Jesajahu Neumann, des Vorstehers der Synagoge und der Gemeinde Wien, 16. Bezirk, und möge sein Andenken sich erheben (groß sein) im Jahre 681 nach der kleinen Zeitrechnung." Mit den Maßen 76 x 42 cm ist er fast so groß wie das 1860/61 gestiftete Stück, welches die Maße 80 x 46 cm hat.
 
Appropos Ottakring: Im Wiener Dialekt ist mit „16er-Blech“ eine Dose Ottakringer Bier gemeint, vor allem bei der Bestellung bei einem Würstelstand. Der 1822 in Břeclav (Lundenburg) geborene Ignaz Kuffner übersiedelte 1849 nach Wien und erwarb mit seinem Cousin Jakob eine kleine Brauerei. Durch technische Innovationen konnte einerseits die Produktion erhöht werden, andererseits trafen Kuffners auch soziale Maßnahmen wie Urlaubszahlungen und die Einführung eine Kantine. Ab 1869 war Ignaz dreimal Bürgermeister im Bezirk. Sein Sohn Moritz interessierte sich für Mathematik und Astronomie. Die von ihm gegründete Kuffner Sternwarte war ein Lehr- und Forschungsinstitut, das 1938 arisiert wurde. Seit 1947 ist die Sternwarte wieder öffentlich zugänglich.
 
Titelbild © JMW