Welcher ist der „richtige“ Weg durch eine Ausstellung? Kann auch das Einschlagen des umgekehrten Weges zu interessanten Aufschlüssen und Einblicken führen?
 
Startet man die aktuelle Ausstellung „Die Universität. Eine Kampfzone“ im letzten Raum, können zu Beginn jene zu Wort kommen, die 1938 ihre Studien in Wien abbrechen mussten und ihre akademischen Karrieren nicht fortsetzen konnten. Etwa Kurt Schoen, der gerne Arzt geworden wäre. Auf dem Foto trägt der 2015 verstorbene Wiener einen Sweater der Cornell University, den ihm seine Enkeltochter, die dort studiert hat, geschenkt hat. Ob er lieber einen Sweater mit dem Logo der Universität Wien getragen hätte? Seine beiden Söhne wurden Ärzte, auch um ein Vermächtnis des Vaters zu erfüllen. In diesem Bereich der Ausstellung werden BesucherInnen mit individuellen Biografien begrüßt, die nahe gehen und näher an der Gegenwart sind – der Gegenwart der Ausstellung und der BesucherInnen.
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© Herbert Schön
Kurt Schoen © Herbert Schoen
 
Ein Portrait von Josef Hupka führt uns ins Jahr 1932. Als Dekan der Juridischen Fakultät unterstützte Hupka Studierende, die Protokolle über antisemitische Ausschreitungen verfassten, die sich von 17. bis 26. Oktober an der Universität ereigneten. Da Antisemitismus bereits „Chefsache“ war, half diese Intervention nicht. Dass Josef Hupka evangelisch getauft war, half auch nicht, er und seine Frau wurden deportiert und ermordet. Ein Sitzungszimmer im Juridicum heißt seit diesem Jahr erfreulicherweise „Josef-Hupka-Zimmer“.
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© Dekanat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Universität Wien, Foto David Peters
Portrait Josef Hupka © Dekanat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Universität Wien, Foto: David Peters
 
Die Ausstellung lässt ihre BesucherInnen im nächsten Raum richtiggehend aufhorchen: Männerstimmen des Wiener Jüdischen Chores singen die Hymne der „Kadimah“, einer schlagenden jüdischen Burschenschaft, die 1883 gegründet wurde. Den euphorisch-zionistischen Text verfasste Nathan Birnbaum, die Melodie stammte von einem deutschnationalen Lied. Und genau das bringt zum Ausdruck, was diese jüdischen Studenten in den Jahrzehnten davor wollten: Teil der deutschen Kultur sein uns sich als solcher anerkannt fühlen – wenn es sein musste, dann auch als schlagende studentische Verbindung.
 
Im nächsten Raum führen uns zwei Zeilen aus dem Tagebuch von Theodor Herzl nach Salzburg, wo  dieser 1885 sein Gerichtspraktikum absolvierte und wo in seinem Andenken eine Tafel angebracht wurde. Bis zu einer künstlerischen Intervention im Sommer 2001 war auf dieser Tafel nur ein Satz aus Herzls Tagebuch über Salzburg zu lesen. Der zweite, dass er nämlich noch gerne länger in dieser schönen Stadt geblieben wäre, als Jude aber nie hätte Richter werden können, fehlte und wurde durch die KünstlerInnen handschriftlich ergänzt.
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© Martin Krenn
© Martin Krenn
 
Mit Herzl im Rücken blickt man auf die bürgerliche Revolution von 1848 und das Toleranzpatent Josephs II. sowie ins „Ghetto im Unteren Werd“ und damit ins 17. Jahrhundert. Die Reise gegen die Chronologie führt bis ins Mittelalter.
 
Man geht man auf eine Kunstinstallation von Andrew Mezvinsky, „Wise Stones Falling into a Sea of Doubt“, zu, die die Geschichte der Steine der 1421 zerstörten mittelalterlichen Synagoge erzählt, die zum Ausbau der alten Universität in der Bäckerstraße verwendet wurden.
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Videostill Andrew Mezvinsky © Jüdisches Museum Wien, Foto: Sebastian Gansrigler
 
Die Architektur der Ausstellung „Die Universität. Eine Kampfzone“ lässt zu, dass BesucherInnen unterschiedliche historische Themen und ProtagonistInnen antreffen und in Beziehung setzen können, einfach in dem sie sich umdrehen und die Perspektive wechseln.
 
Der Blick zurück führt schließlich auch voraus: Um die Ausstellung zu verlassen, durchquert man den als ersten Raum gedachten Bereich, der auf unterschiedliche Art und Weise das Thema der Ausstellung und ihr Terrain als „Kampfzone“ beschreibt: Ob es wirklich einen Grund zum Feiern gibt? Ob es Besserwisserinnen schon seit 1365 besser wissen? Wie sich das von Käthe Leichter beforschte Frauennetzwerk mit 165 unterschiedlichen Stoffstreifen visualisieren lässt und was ein „Le(e.h.)rstuhl“ ist, der posthum verliehen werden muss, fragt und beantwortet die Ausstellung nahezu gleichzeitig.