04. März 2023
Unter der Lupe

Kurt Schubert zum 100. Geburtstag

von Sabine Apostolo
© Familienarchiv Kurt Schubert

Kurt Schubert, der spätere Gründer und Doyen der österreichischen Judaistik sowie Pionier des jüdisch-christlichen Dialogs, wurde am 4. März 1923 in Wien geboren. Da er aus gesundheitlichen Gründen „kriegsverwendungsunfähig“ war, hatte er die Möglichkeit, während des Zweiten Weltkriegs in Wien Alte Geschichte, Altsemitische Philologie und orientalische Altertumswissenschaft zu studieren. Für Schubert war dies eine „Art Flucht vor der nationalsozialistischen Wirklichkeit; die Solidarität mit dem Judentum erschien mir als Gebot der Stunde.“

Schubert war Teil der katholischen Studentenseelsorge rund um Karl Strobl in der Pfarre St. Peter. Dort formierte er u.a. mit Heribert Berger, Hans Tuppy, Wilhelm F. Czerny und Erika Fischer (später verh. Weinzierl) eine antinazistische Gemeinschaft. Durch Erika Fischer lernte Schubert auch seine spätere Ehefrau Ursula Just kennen. Dieser war es aufgrund ihrer jüdischen Mutter nicht erlaubt, an der Universität zu studieren, geschützt durch den nicht-jüdischen Vater konnte die Familie jedoch in Wien überleben.
Kurt Schubert promovierte noch kurz vor dem Ende des Krieges am 24. März 1945 bei seinem Doktorvater Viktor Christian, den er selbst als „nazistischen Philosemiten“  bezeichnete. Christian war Leiter der Lehr- und Forschungsstelle für den Vorderen Orient der SS-Organisation „Ahnenerbe“ und in den letzten Kriegstagen Rektor der Universität Wien. Als solcher war er verantwortlich für die Exhumierung der jüdischen Gräber am Währinger Friedhof – mit dem ausgegrabenen „jüdischen Skelettmaterial“ betrieb er seine anthropologischen Forschungen – wie für die „Arisierung“ tausender Bücher. Schubert hingegen rettete heimlich während einer Übung des „Reichsluftschutzbunds“ im Haus des ehemaligen Rabbinerseminars in der Tempelgasse 3 dessen in Kisten verpackte Bibliothek. So kam es, dass diese Bibliothek bereits im Mai 1945 an die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien übergeben werden konnte. Zu einer aus heutiger Sicht wünschenswerten Distanzierung Schuberts von Christian ist es nicht gekommen.

Noch während der Befreiung Wiens durch die Rote Armee nahm Schubert seinen lang ersehnten Wunsch nach einer freien und demokratischen Universität selbst in die Hand. Bereits am 15. April berief er die erste Professorenversammlung ein. „Mitten durch russische Sperren und teilweise auch durch deutsches Feuer, das noch immer von Zeit zu Zeit herüberdonnerte, trugen meine Freunde und ich die Einladungen bis in die entlegensten Teile Wiens. Am Samstag Mittag waren gegen 20 Einladungen zugestellt. Sonntag kamen sechs Professoren. Dieses Kollegium bevollmächtigte mich für weitere drei Tage [zum provisorischen Rektor] und trug mir auf, die Eröffnung der Universität durchzuführen, sobald die Russen das Hauptgebäude endgültig geräumt hätten.“ Am 16. April ließ Schubert folgende Kundmachung in Wien plakatieren: „Alle Studentinnen und Studenten, die im Sommer 1945 inskribieren wollen, werden aufgefordert, unverzüglich in die Universität zu kommen und einen zehnstündigen Räumeinsatz zu leisten. Beginn des Sommersemesters am 2. Mai.“ Der Aufbauarbeit Kurt Schuberts war damit kein Ende gesetzt. Bereits ab Mai 1945 unterrichtete er laut eigenen Berichten „Bibelhebräisch für Anfänger“. Unermüdlich kämpfte er für die Institutionalisierung der judaistischen Studien, was schließlich zur Gründung des Instituts der Judaistik im Wintersemester 1965/66 führte.

Die Aufbruchsstimmung an der Universität Wien hielt allerdings nicht lange an. Die Bemühungen der Entnazifizierung führten zu einer Rückkehr in ständestaatliche Verhältnisse. Während bereits ab 1948 die Maßnahmen gegen ehemalige Nationalsozialist:innen vielfach zurückgenommen wurden, wartete man auf Bemühungen zur Rückholung vertriebener jüdischer Wissenschaftler:innen vergeblich.
Kurt Schubert war weder Jude noch Kommunist, doch sein entschlossener, vereinender Charakter sowie sein Talent, sich in Graubereichen zu bewegen, ermöglichten es ihm, in einer Zeit des absoluten Chaos mit die Universität wiederzueröffnen und die ersten Schritte für die Wiener Judaistik zu setzen. Sein Engagement war damit noch lange nicht beendet: Er war Gründervater des österreichischen jüdischen Museums in Eisenstadt und somit bedeutend für alle jüdischen Museen Österreichs. An der Universität unterrichtete er mehr als 60 Jahre – lange über seine Emeritierung hinaus. Somit prägte er ganze Generationen von Judaist:innen.

Literatur:

Sabine BERGLER, Hebräisch für Anfänger. Wir Kurt Schubert mit Hilfe der Roten Armee die Wiener Universität wiedereröffnete, in: Jewgenij Chaldej. Der Fotograf der Befreiung. Hg. Von Erich Klein und Marcus Patka, Wien 2021.

Kurt SCHUBERT, Aufbau und Entwicklung der judaistischen Studien an der Universität Wien (unveröffentlichtes Manuskript), https://phaidra.univie.ac.at/detail/o:526490 (3.3.2023).

Kurt SCHUBERT, „Rektor“ mit 22 Jahren. Als mir die Russen die Wiener Universität übergaben, in: Der Student. Beilage der Monatsschrift Morgen 15 (1960), 13.