28. November 2022
Aktuelles

Luegers Lügen

von Barbara Staudinger
© JMW
Am Dr. Karl Lueger-Platz wurde im Oktober 2022 die von Kunst im öffentlichen Raum (KÖR) beauftragte Installation Lueger Temporär der Künstler:innen Nicole Six und Paul Petritsch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Umrisse der Bauwerke, Büsten und Gedenktafeln, mit denen Karl Lueger im städtischen Raum erinnert wird, wurden auf den Platz vor das umstrittene Denkmal geworfen, um die Diskussion, wie wir als Gesellschaft mit dem Gedächtnis an den wegen seines radikalen politischen Antisemitismus umstrittenen Wiener Bürgermeisters umgehen wollen.

Die Installation, die ein Jahr auf dem Platz zu sehen sein wird, soll eine Diskussionsfläche bieten, ein Forum, auf dem die verschiedenen Meinungen ausgetauscht und diskutiert werden können. Denn Meinungen gibt es viele zu und über Lueger und sein Denkmal, das mittlerweile in vielen Farben kontextualisiert wurde.

Was kann ein jüdisches Museum zu dieser Diskussion beitragen? Noch vor wenigen Jahren war es common sense der jüdischen Museen, dass Antisemitismus nicht das Thema eines jüdischen Museums sei, da dessen Protagonisten ja die Antisemit:innen seien und nicht Jüdinnen und Juden. Nicht zuletzt das Engagement der Jüdischen Österreichischen Hochschüler:innenschaft zeigt, dass die Auseinandersetzung mit historischem und gegenwärtigem Antisemitismus jedoch sehr wohl ein Thema jüdischer Identität einst und heute ist. In diesem Sinne hat ein jüdisches Museum Stellung zu beziehen.

In den letzten Tagen haben wir daher zeitgenössische jüdische Stimmen zu Luegers Antisemitismus gesammelt. Es sind Stimmen wie die von Joseph Samuel Bloch, dem Floridsdorfer Rabbiner, Reichsrathsabgeordneten und passionierten Kämpfer gegen den Antisemitismus, oder des Literaten Felix Salten, die zeigen, dass die Wiener Juden sich der Gefahr des politischen Antisemitismus’ Luegers sehr bewusst waren – und eindringlich vor ihm warnten. Die Zitate haben wir mehrheitlich in jüdischen Zeitschriften in der Plattform compact memory gefunden, die mittlerweile über die digitalen Sammlungen der Goethe Universität Frankfurt am Main abrufbar ist. Sucht man in der Volltextsuche nach „Lueger“, werden in der Trefferliste auch jene Textstellen gezeigt, die das Wort „Lüge“ enthalten. Die Ungenauigkeit der Suchfunktion führt zu einer sonderbaren, aber sinnfälligen Auswahl – denn sehr oft sind beide Begriffe in den einzelnen Texten enthalten. Sie beziehen sich auf Luegers Lügen betreffend seiner Hassreden gegen die Wiener Judenschaft.

Die zehn ausgesuchten Zitate wurden mit dem Hashtag #jüdischestimmenzulueger versehen und werden nun nach und nach an die Installation Lueger Temporär angebracht – als Beitrag des Jüdischen Museums Wien.