26. August 2016
Hinter den Kulissen

„Das Vergangene lastet wie ein Schatten auf meinem Herzen“

von Danielle Spera
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Dieser Sommer war für uns alles andere als ereignislos. Zu unserer großen Freude erhielt das Jüdische Museum Wien eine ganz besondere Schenkung: Dokumente einer außergewöhnlichen Lebensgeschichte, die – wie viele andere jüdische Wiener Familienchroniken – in Galizien begann. Durch die Zäsur der Schoa wurden sie jedoch zu einem wichtigen und außergewöhnlichen Zeugnis jüdischen Alltagslebens im Wien während des Zweiten Weltkriegs. Es ist der Nachlass von Mignon Langnas, einer beeindruckenden Persönlichkeit.

Mignon wurde 1903 in Boryslaw (in der heutigen Westukraine) als Kind von Moses Rottenberg und Charlotte Schleifer geboren. Vor den beginnenden Pogromen flüchtete die fromme Familie 1914 nach Wien und siedelte sich im Zweiten Bezirk in der Blumauergasse an. Mignon war elf Jahre alt. 14 Jahre später heiratete sie in der „Polnischen Schul“ in der Leopoldsgasse den aus Lemberg stammenden Leo Langnas.
Bald wurde ein Mädchen geboren, Erika, die im Alter von drei Jahren starb. Ein dramatisches Ereignis, das Mignon ihr Leben lang nicht loslassen sollte. Die Geburt ihrer Tochter Manuela, genannt Mollychen, und schließlich von Georg, Georgerl, bezeichnete sie als Geschenk des Himmels. Ständig war sie in Sorge um die Gesundheit ihrer Kinder.
Das Familienleben währte nicht lange. Nach dem sogenannten ‚Anschluss‘ gelangte Leo Langnas auf abenteuerlichen Wegen in die USA, Mignon allerdings wollte ihre betagten Eltern nicht in Wien zurücklassen und schickte die sechsjährige Manuela und den vierjährigen Georg alleine mit dem Schiff nach New York. Die verwandte Frances Weinstein beschreibt deren Ankunft folgendermaßen:

„My dear Aunt and Uncle and Cousin Mignon:
Yesterday I received your letters the very same day that your dear little children arrived in this country. I can very well understand what a terrible wrench it was for you to have to part with them, and it saddens me to think of you in pain, but then we were very happy to receive your precious jewels. I cannot tell you how very much surprised we were to see how lovely they are. Nelly and I went to the pier to receive the children, and there were many children on the boat, but I can truly say that Manuella and Georg were by far the most beautiful. Molly, with her golden braids tied with pink ribbons, her shining blue eyes and pink cheeks, looked like a ray of sunshine, and the clear little Georg, with his bright dark eyes and red cheeks and happy smile, also looked the picture of health. And a few minutes after I met him, he told Molli that he could talk a better English than I can German. Both children are adorable, we love them very much. We only beg you not to worry about them, for all of us will do the best and most practical things for the children. […] I only pray that you keep your strength and courage and God will grant the day to come soon when you will all be together and happy again.” 

Was folgte, war „eine lange Straße heißer Tränen” , wie es Mignon beschreibt. Sie verzehrt sich vor Sehnsucht nach ihrem Mann und ihren Kindern, wie wir aus ihren Briefen wissen. Doch sie wagt es nicht, ihre Eltern zu verlassen und damit dem sicheren Tod auszuliefern. Um sich und die Eltern zu retten, lässt sich Mignon zur Krankenschwester für die in Wien verbliebenen Jüdinnen und Juden ausbilden und hilft auf diesem Weg vielen Menschen, vor allem Kindern, so auch dem damals neugeborenen Robert Schindel, heute einer der wichtigsten österreichischen Schriftsteller. In all dieser Zeit führt sie Tagebuch und schreibt unermüdlich an ihre Liebsten in New York: 

„Die erste Zeit bin ich fast toll vor Schmerz gewesen, wenn mich zwei Kinderarme umfingen und süß frugen: bist Du vielleicht meine Mami? Aber später erzog ich mich dazu, allen diesen kranken Kinderchen zu dienen und ihnen ‚Mammi‘ zu sein. Ich möchte nirgends sonst hier arbeiten. Wie Ihr seht, meine Teuersten, führen wir ein stilles Leben, voll Arbeit und Hoffnung auf ein glückliches Wiedersehen mit Euch.“ 

Mignon überlebt das Nazi-Regime und den Zweiten Weltkrieg in Wien, durch Krankheit gezeichnet kann sie erst 1946 zu ihrer Familie in die USA reisen. Ihr Familienleben konnte sie nur kurz genießen. Sie starb bereits 1949 an den Folgen des enorm strapaziösen Einsatzes zur Rettung ihrer jüdischen Patientinnen und Patienten, voll von innerer Unruhe und Zweifel, ob sie richtig gehandelt habe, als sie ihren Mann und ihre Kinder allein in die Freiheit reisen ließ. „Das Vergangene lastet wie ein Schatten auf meinem Herzen” , schreibt sie kurz nach ihrer Ankunft in New York. Und wenige Wochen vor ihrem Tod lässt sich aus ihrer letzten Tagebucheintragung nur erahnen, wie sehr die dunklen Erinnerungen sie geprägt haben müssen.

„Es waren zwei Monate voller innerer Kämpfe und großer Unruhe. Ich weinte oft und war sehr verstört. Die Gründe weiß ja nur ich, was mich quält. Eines Tages legte ich vor mir den Eid ab, dass ich mich zusammennehme und zumindest meine nächste, meine geliebte Umgebung nicht quälen werde…“ 

Dank Elisabeth Fraller, die den Nachlass von Mignon Langnas aufgearbeitet hat und in einem Buch herausgab, wurde ich mit George Langnas bekannt. Nach zahlreichen Gesprächen entschlossen sich Manuela und George, das Archiv ihrer Mutter dem Jüdischen Museum Wien zu schenken. In großer Dankbarkeit für dieses unschätzbare Zeugnis der schwierigsten Zeit in der Geschichte der Wiener Jüdinnen und Juden haben wir im Schaudepot einen Teil davon ausgestellt.
Nun hat Mignons geistiges Vermächtnis eine endgültige Heimstätte gefunden und sie selbst hoffentlich ihren Frieden.

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Familie von Mignon Langnas mit Direktorin Danielle Spera bei der Übergabe des Nachlasses
(c) JMW / Sonja Bachmayer

Titelfoto: (c) JMW / Fuchs