13. Mai 2020
Unter der Lupe

Was Sie sonst nicht sehen würden oder Tanuki schreibt einen Brief

von Hannah Landsmann
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Sehr geehrter Herr Ephrussi, lieber Viktor,
 
nie hätten Sie gedacht, dass Ihnen ein Netsuke, ein japanisches Etwas zum Fixieren des Sagemono am Kimonogürtel, jemals einen Brief schreiben würde, oder? Ich finde, wir sollten uns duzen? Mit dem Geburtsjahr 1860 sind Sie nicht mehr der Jüngste, ich bin allerdings bestimmt älter, so dass ich Ihnen leicht das Du-Wort anbieten kann. Lieber Viktor. Die Erinnerung ist tückisch. Sie rührt sich nicht, außer sie wird von etwas berührt und aufgeweckt.
 
Viele Jahre verbrachte ich in einem Tresor bei Peter und Dorothea Bernhard zuhause. Wie kam ich dort eigentlich hin? Tja, lieber Viktor, das hat mit dir zu tun und dem Bankhaus Ephrussi & Co, für das Peter Bernhard’s Vater Hans gearbeitet hatte. Ohne das berühmte Buch von Edmund de Waal, das uns nicht so sehr vom Hasen mit den Bernsteinaugen als von seiner weitverzweigten und weltreisenden Familie Ephrussi erzählt, wäre vieles anders. Ich wäre immer noch im Tresor und wüsste von nichts. Es gäbe im Jüdischen Museum Wien auch keine Ausstellung über die Ephrussis und man würde sich nicht plötzlich für diese Geschichte interessieren. Auch das Palais Ephrussi auf der Wiener Ringstraße wurde mit einem Mal interessant – vielen Dank, lieber Edmund! Das Palais am Universitätsring 14, diese Adresse hieß auch schon einmal anders, hat mit dir und mit mir zu tun. Als du 1899 Emmy Schey geheiratet hast, schickte euch Charles Ephrussi aus Paris 264 (!) Netsuke als Hochzeitsgeschenk! Ihr bekamt auch eine Menge anderer Dinge, aber über die richtige Platzierung der japanischen Kleinigkeiten im Palais habt Ihr wohl länger nachgedacht? Im Buch wird das sehr lustig beschrieben. Dass am Ende alle 264 Tiere, Figürchen und Objekte in Emmys Ankleidezimmer landen würden, was hätte Charles wohl dazu gesagt? Der Vorteil dieses Arrangements für uns: deine Kinder durften ihrer Mama, deiner Frau, manchmal beim Ankleiden Gesellschaft leisten und wenn die Langeweile überhandnahm, spielten sie mit uns. Ob Elisabeth, Gisela, Iggie und Rudolf wussten, dass sie einen Fuchs in der Hand halten, der einen Jäger überlistet? Der Sprung vom Ankleidezimmer im Palais in diesen Tresor von Peter Bernhard ist ein großer. Und auch wieder nicht.
 
Peter Bernhards Vater arbeitete in deiner Bank und du musstest ihn 1930 entlassen, weil es kompliziert geworden war. Wirtschaftlich. Und überhaupt. Ich vermute, das tat dir leid? Hans Bernhard war ein sehr guter Mitarbeiter gewesen und vielleicht auch ein Freund? Hans war 1896 geboren worden, ein ganzes Stück jünger als du, er hätte leicht dein Sohn sein können. Das Zeugnis, das Hans beim Ausscheiden aus der Bank bekommen hat, ist ganz freundlich formuliert und lobt Hans in hohen Tönen. Das ist nett, aber auch irgendwie ganz normal. Das wirklich Besondere ist, dass ich als Geschenk mit dem Zeugnis überreicht wurde! Lieber Viktor, warum hast du den Fuchs ausgesucht, der den Jäger überlistet? Hast du ihn zuhause im Palais ausgesucht und in die Bank in der Wasagasse mitgenommen? Vielleicht sogar in der Hosen- oder Jackentasche transportiert? Hast du Emmy gefragt? Vielleicht hat sie mich ausgesucht?
 
Das Erinnern ist tückisch, viel fällt dem Vergessen anheim. Da kann man nichts machen. Aber man kann die Phantasie zu Hilfe bitten. Sie wäre alleine auch nicht so hilfreich wie in Kombination mit Geschichte, Geschichten und Objekten in Ausstellungen. Hans Bernhard würde nicht im Jüdischen Museum Wien vorkommen, hätte sein Sohn nicht von der geplanten Ephrussi Ausstellung im Jüdischen Museum Wien gehört oder gelesen und den Fuchs als Leihgabe angeboten. Dorothea und Peter Bernhard hatten Zeit sich an Hans zu erinnern. Den Kommerzialrat, der 1973 in Bad Ischl gestorben ist und dort beerdigt wurde. Viktor, kannst du dich noch an Ischl erinnern? Ihr wart bestimmt bei Landauers auf Besuch? Die Erinnerung überlistet die Zeit. Wie der Fuchs den Jäger.
 
 

Ausstellungsansicht "Die Ephrussis. Eine Zeitreise"
Arbeitszeugnis und Netsuke in rechter Vitrine
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