01. März 2022
Aktuelles

Hans Menasse (1930-2022)

von Danielle Spera
© David Bohmann
Er war nicht nur ständiger Gast im Museum, sondern hier im Museum auch quasi ein Akteur. Eigentlich bereits von Beginn meiner Amtszeit als er mir bei der Ausstellung „Bigger than Life. 100 Jahre Hollywood“ mit seiner Expertise über die Filmbranche zur Seite stand – bis hin zu unserer aktuellen Ausstellung „Jugend ohne Heimat. Kindertransporte aus Wien“, für die er uns nicht nur viele Dokumente zur Verfügung stellte, sondern auch ein berührendes Interview gab.

Hans Menasse wurde in Wien geboren, die gutbürgerliche Familie lebte in Döbling, sein Vater war Handelsvertreter für Pelze und Spirituosen. Religion spielte erst nach dem „Anschluss“ eine Rolle, als seine Kindheit abrupt endete. Die Wohnung wurde „arisiert“, Hans und sein älterer Bruder Kurt konnten mit Hilfe der Quäker durch einen Kindertransport gerettet worden. Am 20. Dezember 1938 verließen die beiden Brüder Wien gemeinsam, wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft getrennt, da Hans Scharlach bekommen hatte. Mit acht Jahren war er plötzlich völlig allein in einem fremden Land ohne ein Wort Englisch zu sprechen: „Eine Krankenschwester war sehr nett zu mir. Sie hat versucht, mir ein paar englische Worte beizubringen. Sie meinte, 'say very well thank you‘ und ich habe nicht gewusst was das heißt und sie hat gesagt 'when the doctor comes say very well thank you‘. Dann kam der Doktor und hat etwas auf Englisch zu mir gesagt und ich habe gesagt 'Very well, thank you‘. Er hat mir auf den Kopf geklopft, sagte 'Good boy‘ und ging weiter. Das waren meine ersten englischen Worte“, erzählt Hans Menasse. Doch danach lernte er rasch Englisch, gleichzeitig verlernte aber Deutsch, nachdem niemand mehr da war, mit dem er seine Muttersprache praktizieren hätte können. Mit zehn Jahren wurde er für ein Fußballteam rekrutiert und das markierte auch den Beginn seiner Sportlerkarriere. Währenddessen meldete sich sein Bruder Kurt zur britischen Armee und wurde in Burma eingesetzt. Die Schwester von Kurt und Hans hatte sich von Wien aus nach Kanada durchgeschlagen und starb dort im Alter von 21 Jahren an Typhus. Hans beendete in England die Schule und wurde zum technischen Zeichner ausgebildet.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs erhielt er einen Brief aus Wien – auf Deutsch, den er sich erst von jemand, der knappe Deutschkenntnisse hatte, übersetzen lassen musste. So erfuhr er, dass seine Eltern die Zeit des Nationalsozialismus überlebt hatten. Gemeinsam mit fünf anderen Kindertransport-Kindern kam Hans im April 1947 nach Wien zurück. „Ich war acht Jahre alt, als ich aus Wien gefahren bin. Als ich zurückkam war ich 17 und inzwischen von einem kleinen Kind zu einem jungen Mann geworden. Meine Eltern hätte ich nicht mehr erkannt, aber mein Bruder ist neben ihnen gestanden als ich angekommen bin, ihn habe ich erkannt, er stand dort in der englischen Uniform. Meine Eltern sind auf mich zugekommen und haben mich umarmt und geküsst. Sie waren mir zu Beginn ein bisschen fremd, noch dazu, wo ich nicht mit ihnen reden konnte. Ich konnte nicht Deutsch und sie konnten nicht Englisch. Mein Bruder hat ab und zu übersetzt, aber er musste bald zurück zu seiner Einheit und ich war dann alleine mit den Eltern“, erzählte Hans Menasse. In Wien übernahm er die Leitung der Presseabteilung eines großen Filmverleihs und betreute mehr als 50 Jahre lang wichtige Persönlichkeiten aus dem Filmbusiness. Gleichzeitig wurde er beim Fußballclub Vienna zum gefeierten Star. Seinen Sportsgeist gemeinsam mit seiner Frau Christl und seine Kreativität gab er auch an seine Kinder Robert, Eva und Tina weiter.

Ich durfte Hans Menasse schon früh kennenlernen, da sein Bruder Kurt und mein Vater (er hieß auch Kurt) beruflich viel miteinander zu tun hatten, später lernte ich Kurts Sohn Peter Menasse kennen und bin auch mit ihm freundschaftlich verbunden. Ich bin unendlich dankbar für die vielen spannenden Gespräche, die ich mit Hans Menasse führen durfte. Seine liebenswürdige Art, seine Aufmerksamkeit und seine Gabe zu erzählen werden mir sehr fehlen. Mein ganzes Mitgefühl gilt seiner Familie. Am meisten in den Bann gezogen hat mich seine Rede anlässlich unserer Ausstellung über die Kindertransporte am 9. November 2021, mit der ich diesen Text auch enden lassen möchte:

„Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist in etwas mehr als einem Monat unfassbare 83 Jahre her, als ich mit meinem älteren Bruder am Wiener Westbahnhof von meinen Eltern und von meiner Geburtsstadt Wien Abschied nehmen musste, um mit einem Kindertransport nach England zu fahren. Seither hat man mich hunderte Male gefragt, wie ich über dieses traumatische Erlebnis hinweggekommen bin, was es aus mir gemacht hat, was es bedeutet hat. Und ich muss sagen ich war vielleicht einer der Wenigen halbwegs Glücklichen, denen es nicht so viel gemacht hat, weil ich wie gesagt mit meinem älteren Bruder gefahren bin, weil meine Eltern gesagt haben: 'Du fahrst jetzt nach England, wirst sehen, es ist lustig. Das ist wie ein Abenteuer. Es ist ein Urlaub und wir kommen sowieso bald nach.‘ Und als achtjähriges Kind natürlich glaubt man seinen Eltern alles. Ich habe aber gleichzeitig auch gesehen, dass am Bahnhof einige andere Kinder – meistens so kleine Mädchen, die alleine waren – die haben nicht geweint, die haben gebrüllt und getobt. Ich habe nicht genau gewusst, wieso und warum, aber es war dann schon relativ spät am Abend. Wir sind in den Zug eingestiegen, weggefahren und es war dann relativ bald ruhig. Die Kinder sind eingeschlafen und wir waren unterwegs. Ich habe ja auch immer wieder gesagt: Es muss für meine Eltern ja viel, viel ärger gewesen sein als für mich. Denn die haben buchstäblich von einem Tag auf den anderen drei Kinder verloren. Ich hatte noch eine ältere Schwester, die gleichzeitig nach Kanada emigriert ist. Meine Eltern wussten von keinem ihrer drei Kinder wie es ihnen geht, was sie machen. Als dann der Krieg ausgebrochen ist im September 1939 war überhaupt jeder Kontakt abgebrochen. Als ich dann später selbst Kinder bekommen habe und mein erstes Kind acht Jahre alt geworden ist, habe ich mir gedacht:  'Kannst du dir vorstellen, du musst das Kind jetzt wegschicken und du weißt jahrelang nicht wies ihm geht, was es macht?‘ Also es war unvorstellbar. Und meine Eltern, das habe ich erst bemerkt als ich zurückgekommen bin, waren natürlich nervlich vollkommen zerrüttet. Ich möchte nicht allzu viel mehr von meinem Schicksal sprechen, weil: Erstens kann man das alles in der Ausstellung sehen und hören. Und zweitens soll ich meine Redezeit nicht überziehen, hat man mir gesagt. Ich möchte nur einen Aspekt von den Kindertransporten noch erwähnen, der, glaube ich, viel zu wenig beachtet wurde oder kaum zur Sprache gekommen ist. Als ich im Dezember 1938 vom Westbahnhof weggefahren bin, haben mich meine Eltern natürlich abgebusselt, an sich gedrückt, festgehalten, über den Kopf gestreichelt und mir verschiedene andere Zeichen von Zärtlichkeit gegeben. Und das Unfassbare ist, wenn man an das denkt, dass ich danach achteinhalb Jahre lang nichtmehr ein einziges Busserl bekommen habe. Und wenn man dann gesagt hat, man hat uns unsere Jugend geraubt, dann kann man nur das gemeint haben. Wir konnten ja wenigstens in die Schule gehen, wir konnten mit andern Kindern spielen, wir hatten zu essen und zu trinken und wir waren in Sicherheit. Aber für ein Kind heutzutage mit acht Jahren, das achteinhalb Jahre nicht ein einziges Zeichen von Zärtlichkeit in irgendeiner Form erfährt, das kann man sich nicht vorstellen. Was das aus mir gemacht hat, weiß ich nicht so genau. Ich weiß nur, dass ich danach angefangen habe Nägel zu beißen, dass ich schüchtern geworden bin, fast introvertiert, dass ich, wenn man mich angesprochen hat, rot angelaufen bin. Dafür habe ich mich dann wieder geschämt. Aber das hat sich alles Gott sei Dank mit der Zeit wieder ergeben. Bis auf das Nägelbeißen. Das habe ich sogar meinen Kindern vererbt. Nun es freut mich ganz besonders, dass heute so viele Leute zu der Ausstellungseröffnung gekommen sind. Die beiden Kuratorinnen haben sich sehr viel Mühe gegeben und mit sehr viel Engagement eine wirklich sehenswerte Ausstellung zusammengebracht und ich wünsche ihnen sehr, sehr viel Erfolg. Wie überhaupt auch dem Jüdischen Museum und der famosen Direktorin Danielle Spera. Danke für die Aufmerksamkeit!“

Wenn Sie mehr über das Leben von Hans Menasse wissen wollen, empfehle ich dieses Buch: Alexander Juraske/Agnes Meisinger/Peter Menasse, Hans Menasse: The Austrian Boy. Ein Leben zwischen Wien, London und Hollywood, Wien 2019

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© Ouriel Morgensztern
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