23. Juli 2021
Feste Feiern

Ein jüdischer Valentinstag im Sommer

von Hannah Landsmann
© Jüdisches Museum Wien
Am 15. Aw, hebräisch Tu be Aw, lässt man im jüdischen Kalender die Liebe hochleben. Ursprünglich ist der Feiertag mit der Natur verknüpft, denn im Juli oder August beginnt im Heiligen Land die Weinlese. Der fröhliche Feiertag wird auch „Fest der Weinberge“ genannt und ausgelassen gefeiert, heuer am 24. Juli.

Der Talmud hat mit der Beschreibung der liturgischen Bräuche die Erinnerung an die Zeit vor der Zerstörung des Tempels für uns festgehalten. So haben beim „Fest der Weinberge“ unverheiratete Frauen in weißen Kleidern in den Weinstöcken durch Tanz und lautes Singen auf sich aufmerksam gemacht. Im modernen Israel wird dieser Brauch mit Elementen des Valentinstages verbunden, man schenkt Blumen und macht Heiratsanträge.

Unmittelbar vor diesem fröhlichen Fest liegt der Trauertag Tischa beAw (18. Juli 2021), der neunte Tag des Monats Aw. An diesem Datum sind eine ganze Reihe schrecklicher Ereignisse über das Volk Israel hereingebrochen: Gottes Urteil, dass die Israeliten 40 Jahre durch die Wüste ziehen müssten, bevor sie das Heilige Land sehen könnten, die Zerstörung der beiden Tempel oder die Niederschlagung des Bar Kochba Aufstands im Jahr 135 n.d.Z. Tischa beAw ist neben Jom Kippur im Herbst mit 25 Stunden der zweite lange Fasttag im Kalender. In den drei Wochen vor dem 9. Aw soll man sich, wenn man der Halacha, dem jüdischen Religionsgeset, folgt, nicht die Haare schneiden, keine Hochzeiten feiern, keine neuen Kleider kaufen oder anziehen und keine neue Wohnung beziehen.
Dass schon eine knappe Woche nach Tischa beAw die Freude wieder die Oberhand gewinnt, macht deutlich, dass das Leben mehr zählt als das Leid und dass es nicht schaden kann, das Glück auch in die eigenen Hände zu nehmen, natürlich auch bei der Partnerwahl. Wobei es laut Talmud nicht so viel zu wählen gibt, denn die und der Richtige werden bereits im Himmel und schon 40 Tage vor der Geburt bestimmt. Die so Auserwählten sind jedenfalls schon einmal seelenverwandt, das Übrige entscheidet dann das irdische Dasein.

Am Tag der Hochzeit, hebräisch Chuppa, trägt die Braut einen Ring mit einem Haus, welches den gemeinsamen Haushalt und das Wohnen unter einem Dach symbolisiert. Der ebenfalls „Chuppa“ genannte Trauhimmel – ein Stück Stoff, das auf vier Stangen liegt, verdeutlicht mit den vier offenen Seiten auch, dass im gemeinsamen Haushalt jederzeit Gäste willkommen sind. Nach dem Segen unter der Chuppa zertritt der Bräutigam ein Glas. Weil Scherben Glück bringen, das zerbrochene Glas aber auch an die Zerstörung des Tempels erinnert. In unserem Atelier (Museum Dorotheergasse) werden die Lebensfeste zwischen Geburt und Tod vorgestellt. Für jede Station sind in einem Vitrinen-Duo alltägliche Dinge und Museumsobjekte kombiniert. Oft werden wir gefragt, ob die Hochzeit womöglich nicht gilt, wenn der Bräutigam das Glas nicht trifft?

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© Jüdisches Museum Wien
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© Jüdisches Museum Wien
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© Jüdisches Museum Wien
Margit Dobronyi, die Chronistin der Wiener jüdischen Gemeinde, fotografierte unzählige Hochzeiten. Sie kam 1956 mit ihren Kindern aus Budapest nach Wien und hatte eine großartige Geschäftsidee. Sie kaufte sich eine Kamera, war auf nahezu allen jüdischen Festen anwesend und fotografierte. Sie war von einer sympathischen Aufdringlichkeit und verkaufte die entwickelten Fotos teuer an die Abgebildeten. 2004 erwarb das Museum einen Großteil der Fotos in Form von Negativen und verfügt damit über das größte Bildarchiv zur Geschichte der Wiener jüdischen Gemeinde nach 1945. Viele der frühen Fotos aus den 1960er-Jahren, nur wenige Jahre nach der Schoah, zeigen herzlich lachende, feiernde Menschen, die zeigen, dass sie Lust aufs Leben haben. Sie machen deutlich, dass man dem Tod nur mit dem Leben beikommen kann.